Tour du Mont Blanc – Drei Länder im Schatten des weißen Riesen (Frankreich-Italien-Schweiz)

Über 170 Kilometer Strecke bei 11.000 Höhenmetern: Die Tour du Mont Blanc ist eine Herausforderung in jeglicher Hinsicht. Frankreich, Italien und die Schweiz werden durchkreuzt, das hochalpine Wetter ist jederzeit für eine Überraschung gut. Juni und September eignen sich gut für die Wanderung, im Juli und August ist hier die Hochsaison.

Tour du Mont Blanc

01 Godel bei Vol de Voza
04 Murmeltier
13 Blick aus dem Zelt auf Mont Blanc, Nahe Rufigio Bonatti
05 Col du Bonhomme
07 Posierende Stiere
06 Bergszenario nahe Croix de Col du Bonhomme
10 Blick von Col de la Seigne nach Italien
18 Blick vom fenetre d'arpette, Schweiz
14 Val Ferret, Italien
24 Bergziege am Col Brevent
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Zurück nach Europa

Ein steiler Start

In Les Houches beginne ich die Tour de Mont Blanc und folge dem grünen TMB-Zeichen auf den Wanderschildern: Von 1.008 Meter auf 1.653 Meter – Was gibt es schöneres am frühen Morgen? Mit schweißgetränkter Kleidung erreiche ich Col de Voza, einen Pass, der seit 1908 auch mit einer Bergbahn erreichbar ist.

Schöne Landschaft: Bunte Weiden mit Butterblumen und Enzian, Bergpanorama als Hintergrund, darüber ein Schäfchenwolkenhimmel. Ich bin dankbar, dass in jedem Dorf ein Trinkwasserbrunnen für durstige Wanderer installiert ist. Die Sonne brennt. Während ich an einem schattigen Plätzchen eine Mittagsrast einlege, wird eine Viehherde an mir vorbei getrieben. Ich bin nicht sicher, wer irritierter schaut: Die Kühe oder ich.
Im Dorf Les Contamines fülle ich meine Vorräte auf, bevor mich der Weg zur Notre Dame de la Gorge führt. Im Mittelalter eine Schutzhütte für Reisende, seit 1700 eine katholische Barockkapelle.

Danach folgt ein großer Anstieg: Mehr als 1.100 Höhenmeter liegen zwischen Les Contamines und dem Col du Bonhomme. Am Zeltplatz nahe des Refuge de la Balme zeigt eine Gruppe französischer Wanderer, wie die Tour du Mont Blanc noch zu meistern ist: Mit Neun-Personen-Zelt und zwei Eseln.

Die Sonne hat sich hinter den Bergen verkrochen, der Weg führt mich über Schneebrücken – Überbleibsel des letzten Winters. Die kalte Luft, die von diesen ausgeht, bildet einen starken Gegensatz zu dem sonst heißen Tag. Ich überwinde die letzten, anstrengenden Meter auf Schnee und befinde mich am Pass: Ein berauschender 360°-Blick! Die Berge sind weiß gestreift, mal längs, mal quer.

Die Berghütte beim Col de la Croix du Bonhomme ist nur eine Stunde entfernt. Erneut eine Schneebrücke, und mein rechtes Bein steckt bis zum Oberschenkel im kalten Weiß. Mit vorsichtigen Schritten erreiche ich das Refuge. Unterhalb davon befinden sich Zeltplätze mit niedrige halbkreisförmige Steinmauern. Zehn Minuten später steht mein temporäres Zuhause.

 

Bergwetter

Vier Uhr früh: Regentropfen und Hagelkörner schmettern auf mein Zelt ein. Es BLITZT! Ich zähle: Ein-und… – Es DONNERT! Beruhigend, das Gewitter ist also noch 150 Meter entfernt. Ich verkrieche mich tiefer in meinen Schlafsack, möglichst weit weg von den Zeltstangen.
Am Morgen begrüßt mich die Sonne mit einem überragenden Ausblick: Ein grüner Bergrücken mit wenigen weißen Flecken erinnert an einen riesigen Dinosaurier.

Im 3-Häuser-„Dorf“ Les Chapieux freue ich mich über eine exquisite Auswahl an selbstgemachten Produkten: Ich entscheide ich mich für einen leckeren Ziegenkäse.
Auf dem Weg nach Ville de Glaciers erinnert ein Denkmal an den zweiten Weltkrieg. Im Juni 1940 leisteten hier Französische Truppen den Italienischen bitteren Widerstand: Vier Tage, bei Schneestürmen und – 25 Grad Celsius, bis zum Waffenstillstand am 25. Juni.

Von dort folge ich dem ebenen Weg zwei Stunden, bis das Refuge des Mottets in Sicht kommt, schön gelegen am Ende des Tals. Beim Aufstieg zum Col de la Seigne beobachte ich mehrere Murmeltiere beim Sammeln von Heu. Verständlich – wer möchte schon auf ein weiches und warmes Nest verzichten?

Eine große Steinpyramide markiert den höchsten Punkt des Passes, kilometerweite Sicht in die Ferne belohnt die Anstrengung. Ein weiterer Schritt, und ich bin in Italien. Am Rifugio Elisabetta dann eine schlechte Nachricht: „Zelten verboten“, berichtet mir ein Wanderer. Also weiter zum Lac Combal – leider auch hier ohne Erfolg, der grimmige Hüttenwart schüttelt seinen Kopf und deutet die Straße hinab: „Dort unten sind Campingplätze“.

Das Wetter hat wenig Mitleid. Also schlittere ich, von einem Hagelschauer begleitet, über einen Schlammpfad durch den Wald. Nass bis auf die Knochen erreiche ich endlich Camping La Sorgente, wo ich es mir in einer Vierbett-Hütte gemütlich mache. Es donnert – die Wände wackeln. Richtige Entscheidung.

 

Mt. Blanc in Sicht

Erneut startet der Tag sonnig und ich folge der Asphaltstraße hinunter nach Courmayeur. Mein Ziel: Zu Mittag eine original italienische Pizza. Ich biege links ab und finde ein kleines Restaurant. Mit vollem Magen erkunde ich danach das Städtchen auf der Suche nach dem Anschluss der Tour du Mont Blanc. Und ich erkenne meinen Fehler kurz darauf: Nicht links, sondern rechts hätte ich abbiegen müssen.
Nach drei Stunden bin ich wieder an der Kreuzung, diesmal nehme ich die Richtung nach Villair. Kleine ruhige Seitengassen zweigen von der Hauptstraße ab, noch nicht einmal ein italienischer Kleinwagen passt hier durch.
Danach über Serpentinen durch ein Waldstück. Schattenspendende Bäume sind hier meine engsten Freunde.

800 Höhenmeter und zwei Stunden später liegt das Rifugio Bertone vor, der Aufstieg und der Schatten hinter mir. Die pralle Nachmittagssonne begleitet mich durch saftiges Grün und bunte Blumen über einen flachen Höhenweg. Gegenüber, auf der anderen Seite: Eine massive Berglandschaft, die steil in das Tal abfällt… Und irgendwo, verborgen hinter vereinzelten Wolken thront der europäische König der Berge.
Rifugio Bonatti, und die übliche Antwort der Wirtin: „Zeltplatz gibt es hier keinen.“, diesmal verbunden mit einer positiven Nachricht: „Solange Sie das Zelt nicht in Sichtweite aufstellen, gibt es kein Problem.“.
Nach einer halben Stunde sitze ich im Zelt und schaue durch die offene Plane Richtung Südwesten. Wenige Kilometer entfernt und deutlich zu erkennen: Die 4.810 Meter hohe Erhebung mit der berühmten weißen Spitze in der Form eines Backenzahns.

 

Schweizer Holzhäuser und Gartenzwerg-Armeen

Noch bevor die Sonne Ihre ersten Strahlen über den Mont Blanc schickt, ziehe ich los. Vom zwei Stunden entfernten Rifugio Elena trennt mich ein Fluss, die Brücke wohl noch im Winterschlaf. Ebenso die Herberge, die ich mit nassen Füßen erreiche. Also gibt es wieder Haferbrei und Kaffee, bevor ich mich an den Zick-Zack-Anstieg des Grand Col Ferret mache.
Am Pass schaue ich zurück in das italienische Tal: Auf der einen Seite liegen die steilen zerklüfteten Berge, auf der anderen Seite eine grüne Wald- und Wiesenlandschaft. Eine Herde Steinböcke grast seelenruhig auf einer Hochweide. Ich drehe mich um und schaue in die Schweiz. Wolken dominieren den Himmel, vereinzelt bedecken die letzten Schneefelder den Weg.

Die Tour du Mont Blanc führt hinab in das Schweizer Val Ferret, vorbei am Bauernhof Alpagne de la Peule. Unten angekommen nutze ich den Fluss Drance de Ferret für eine Pause, während sich meine Füße im kalten Nass ausruhen. Seit heute erfahre ich, wie schmerzhaft Blasen sind. La Fouly ist schnell erreicht, die Strecke nicht allzu aufregend. Mein Ziel Champex du lac ist vier Stunden entfernt – mit frischen trockenen Socken läuft es sich viel einfacher. Eine Viehherde begleitet mich auf dem Weg durch einen Nadelwald. Die Kühe verschwinden, das Kuhglockenläuten dauert an.

Noch ein kurzes Stück über einen schmalen Pfad an der Seite eines Berges, und ich erreiche ein Schweizer Dörfchen. Urige Holzhäuser, schmale Gassen und eine Armee Gartenzwerge begrüßen mich in Praz de Fort. Danach unerwartet ein steiler Anstieg. Kunstvoll geschnitzte Pilze und Eichhörnchen des Waldlehrpfades Sentier des Champignons verwandeln das anstrengende Unterfangen in ein kurzweiliges Abenteuer.
Spät erreiche ich Champex, eine einzige Baustelle. Der Zeltplatz verlangt 15 Euro für eine überfüllte Wiese. Also mobilisiere ich meine letzten Kräfte, um zum Relais d’Arpette zu gelangen. Auf der Wiese dieses Refuges schlage ich mein Zelt auf.

 

Das Fenster zu einer anderen Welt

Spannende Begegnungen gibt es auf dem Weg zum Fenetre d’Arpette, einer Alternative zu der Route nach Trient. Zuerst treffe ich auf eine Gruppe, angeführt von einem Schamanen, auf dem Weg zur Quelle des Flusses, um die Naturgeister zu ehren. Danach auf Alex, einen Wanderer auf der Haute-Route, der die zwölf Tage mit minimaler Ausrüstung meistert.

Anfangs folgt der Weg noch einem gemütlichen Pfad zwischen bunten Wiesen mit Margeriten und Kuhschellen. Doch schon bald geht dieser in ein Steinfeld über und wandern wird zu klettern. Das „Fenster“ ist bereits eindeutig auszumachen, eine kleine Lücke in der Zahnreihe der Berge. Erneut Schneefelder, erneut breche ich ein. Mit nassen Hosenbeinen und offenem Mund stehe ich drei Stunden später im Fenster: Links breitet sich der riesige, uralte Trient-Gletscher aus, unzählige Wasserfälle strömen talwärts. Rechts liegt das V-förmige Trient-Tal, umrahmt von mächtigen Bergen.

Anstelle des Umweges nach Trient nehme ich den direkten Weg zum Col de Balme. Ein steiler Abstieg, ein Aufstieg, vorbei am Refuge Les Grandes und die Hütte am Balme-Pass ist am Horizont sichtbar – geschlossen, wie ich bald feststelle. Gut für mich, so kann ich mein Zelt dort aufstellen – Direkt am Grenzstein, die eine Hälfte in der Schweiz, die andere in Frankreich.
Zwei Schweizer Tageswanderer steuern meinem Abendessen etwas Käse und Hobelfleisch bei. Dankbar genieße ich die Mahlzeit mit freiem Blick auf den Mont Blanc, der rötlich in der Abendsonne glitzert.

Als ich im Zelt liege, kündigt ein Rascheln einen abendlichen Besucher an: Ein Fuchs schaut unter der Außenplane hinein, wohl um mir eine gute Nacht zu wünschen. Seine Neugier ist gestillt, er zieht seiner Wege.

 

Stockender Verkehr auf der Tour du Mont Blanc

Entlang der Gondelbahn führt der Weg hinab nach Le Tour. Dort sind die Wegweiser der Tour du Mont Blanc nicht zu erkennen. Einige Wanderer gehen direkt zurück nach Chamonix, ein Spaziergang von drei Stunden. Ich biege ab in Richtung eines kleinen Bergdorfes – Tre le Champs. Es ist für seine Schnitzereien bekannt: In einem Vorgarten hält eine Horde Totempfähle wache, grimmig dreinschauende Baumstämme.
Viel los heute: Es ist Sonntag, die Sonne scheint. Mountainbiker, Kletterer, Tageswanderer und Vorbereiter für den Mont Blanc Marathon teilen sich heute die Wege.

Es folgt der letzte Anstieg der Tour: Zuerst geht es hoch zur Skistation La Flegere, danach weiter nach Planpraz. Die Benutzer der Sprunganlage für Gleitschirmflieger schweben lautlos an dem gigantischen Berg vorbei. Schließlich das letzte Stück, über steile Serpentinen bis zum Col Brevent, wo einige Bergziegen an Brotkrumen knabbern. Eine letzte Kletterei, und die Spitze des Brevent auf 2.525 Höhenmeter ist erreicht.

Diese teile ich mit Asiaten und Amerikanern, die den Ausblick von hier der Gondel verdanken. Während sie Ihre Kameras auf den Berg richten, fühle ich mich nach sechs Tagen alleine wandern in der Menschenmenge fehl am Platz. Les Houches liegt auf 1.008 Metern – also ein letzter Abstieg über 1.500 Meter. Um 18.30 marschiere ich schließlich im Dorf ein – perfektes Timing, drei Minuten, bevor der letzte Bus zu meinem Zeltplatz abfährt.

 

Zusammenfassung:

Schweizer Käse, französische Salami und italienische Pizza: Nicht nur kulinarisch zählt die Tour du Mont Blanc zu den genussvollsten Wanderungen in Europa.
Oberhalb der Baumgrenze bieten sich sagenhafte Ausblicke auf zerklüfteten Berge, unterhalb kann der Charme kleiner Bergdörfer erlebt werden.
Für authentische Eindrücke sollten Französische und Italienische Grundbegriffe beherrscht werden, denn Englisch spricht nicht jeder hier.
Die Alternative durch das Fenetre d’Arpette ist lohnenswert, wenn gleich anstrengender. Insgesamt sind 9-11 Tage ein guter Durchschnittswert, um die Wanderung in vollen Zügen zu genießen.