Die Terskej-Alatau Traverse – Zwischen Nomadenleben und Gebirgspässen (Kirgisistan)

Ausgangspunkt für die Terskej-Alatau Traverse ist Karakol, knapp eine Tagesreise von Bishkek entfernt. In der viertgrößten Stadt Kirgisistans verkaufen lokale Tourenanbieter, wie CBT oder Ecotreks, Gaskartuschen und Karten, auf der die Traverse eingezeichnet ist. Juli und August bieten das beste Wetter, doch auch in den Schultermonaten Juni und September sind Wanderungen möglich. Außerhalb dieser Zeiten ist es auf 3.500 Höhenmeter ziemlich kalt.

Ständige Weggefährten
Ständige Weggefährten
GPS-Profil
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Malkasten der Abendsonne
Malkasten der Abendsonne

Zurück nach Asien

Ein Einblick in das Nomadenleben

Es ist 14 Uhr, ich sitze im Kreise von neun Nomaden beim Mittagessen: “Iss. Trink. Wir sind hier eine Familie”, erklärt die Großmutter und gießt mir Tee nach. Gegen einen Obolus von umgerechnet zwei Euro erhielt ich ein Bad in den heißen Quellen und sitze nun vor einem gehäuften Teller mit Reis und Fleisch sowie einer übergroßen Wassermelone. Ich resümiere, wie ich hier landete, und meinen Plan, möglichst viele Kilometer zurückzulegen, verwarf.
Ein Taxi brachte mich den halben Weg hierher. Danach ein Stück zu Fuß, bis mich drei Damen aus Bischkek in ihrem Jeep mitnahmen und hier in Dzhilusu absetzten. Evgeni, ein breitschultriger Russe, beharrte darauf, ich müsse zuerst die warmen Quellen nutzen. “Das ist gesund, sogar Menschen aus Moskau kommen hierher, um ein Bad zu nehmen.” Fünf Minuten wollte ich mir Zeit nehmen. Als mir die Babuschka zum dritten Mal Tee anbietet, kommt es mir unhöflich vor, abzulehnen.

Nun verabschiede ich mich freundlich und beginne mit der Terskej-Alatau Traverse. Entlang einer Schotterstraße für Allradfahrzeuge. Vorbei an ruhigen Zeltplätzen am gurgelnden Fluss, versteckt zwischen Bäumen. Über ein Holzgatter, das den Weg versperrt. Unerwartet erscheint eine weite Wiese samt Gasthaus. Ich winke den Besitzern zu und orientiere mich zur linken Seite: Ein reißender Strom stellt das Hindernis dar.
Stahlseile sind auf beiden Seiten verankert, die Gondel der manuellen Seilbahn hängt mittig über dem Fluss. Einzige Möglichkeit diese zu erreichen: Rucksack ab und kopfüber mit Händen und Füßen hinüber hangeln. Mit rotem Kopf erreiche ich das Gefährt und ziehe es ans Ufer. Fünf Minuten später bin ich trocken auf der anderen Seite.
Von hier folge ich einem der Viehpfade – erschrockene Kühe verschwinden geräuschvoll im Dickicht – bis ich einen Fluss erreiche, an dem ich mein Lager aufschlage. Ein großer Stein dient als Windschutz.

Spaziergang im Tal
Spaziergang im Tal…
und der Ausblick vom Pass
…und der Ausblick vom Pass
...und neue Freunde
…und neue Freunde

Schnee, Nebel und verpasste Pässe

Starker Regen – Zumindest laut Wettervorhersage. Die Morgensonne scheint nichts davon wissen zu wollen. Ich verlasse die Terskej-Alatau Traverse und hoffe auf spektakuläre Ausblicke an einem Pass weiter hinten. Eine halbe Stunde Fußmarsch, und vor mir breitet sich eine weite Hochebene aus. Eine Herde Pferde grast gemütlich am Flussufer.
Es wird dunkler, die Wolken lassen keine hellen Strahlen mehr zu. Ich laufe über den Rücken eines steinigen Hügels, kann mittlerweile keine 20 Meter weit sehen. Die Temperatur fällt, zusammen mit kleinen weißen Flocken. Stur laufe ich weiter, Schnee löst Geröll als Bodenbelag ab. Bis zum Knöchel versinken meine Schritte. Plötzlich ziehen sich tiefe Risse durch das Weiß, Gletscherspalten, tödliche Fallen. Vorsichtig balanciere ich daran vorbei.

Erschöpft erreiche ich den Gletscherpass. Auf der anderen Seite: Steil bergab. Ich suche, eine halbe Stunde – erfolglos. Kein sicherer Weg nach unten. Erschöpft folge ich meinen Fußspuren zurück, die mittlerweile kaum mehr sind als leichte Unebenheiten der weißen Oberfläche. Schnee, Gletscherspalten, Steinhügel. Im Glück des Unglücks finde ich direkt am Fuße des Aufstiegs zu einem anderen Pass einen Zeltplatz neben einem kleinen Bachlauf. Im warmen Schlafsack liegend betrachte ich den Himmel: Die untergehende Sonne malt die Wolken und den Gletscher am Horizont rosarot, ein versöhnlicher Tagesabschluss.

Düstere Ankündigung
Düstere Ankündigung
Das "Danach"-Bild
Das „Danach“-Bild
Der versönliche Tagesabschluss
Der versönliche Tagesabschluss

Über den Pass, zurück ins Tal

Am Morgen warte ich auf die Sonne. Vor allem darauf, dass sie meine tiefgefrorenen Stiefel auftaut, bevor ich den Aufstieg in Angriff nehme. Über Steine folge ich einen Bach, ein Portrait der Natur: Die Oberfläche besteht aus einer Eisschicht, darunter bahnt sich das Wasser stolz und unnachgiebig seinen Weg. Unzählige Miniatur-Eishöhlen mit Vorhängen aus Eiszapfen.
Oben liegt der Übergang vor wolkenlosem Hintergrund. Drei Stunden später blicke ich auf die andere Seite. Rechts von mir der Gletscher, vor mir das Tal. Ein unscheinbarer, schmaler Trampelpfad führt mich nach unten auf ein weiteres Schneefeld. Auf einmal sinkt mein Fuß nicht mehr ein, sondern endet auf einer Eisschicht. Ich bin zu nahe an den Rand geraten. Rutschend und schlitternd fange ich mich mit den Händen ab, in denen das spitze Vulkangestein seine Spuren hinterlässt.

Mitten zwischen den Steinen liegt ein kleiner Bergsee mit lehmigem Ufer, in dessen glatter Oberfläche sich die Gipfel spiegeln. Dahinter: Ein weiterer Steilhang mit einem ziemlich schmalen Pfad. Im Tal angelangt, folge ich erleichtert dem Flussufer, passiere Pferde und Kühe bis ich eine ebene Wiese erreiche – eingerahmt von Nadelbäumen, der Gletscher am Horizont, kurzum: Der ideale Zeltplatz.

Ein kleiner Gletschersee spiegelt den riesigen Gletscher
Ein kleiner Gletschersee spiegelt den riesigen Gletscher
Jungfräuliche Schneefelder
Jungfräuliche Schneefelder
Zeltplatz mit Million-Dollar-Ausblick
Zeltplatz mit Million-Dollar-Ausblick

Der „normale“ Weg

Den Fluss überquere ich am Morgen und erreiche den Weg der Terskej-Alatau Traverse, mit nassen Stiefeln, begleitet vom stetigen Pfeifen der Murmeltiere. Ich drehe mich um und sehe ein moppeliges Hinterteil in einem der unzähligen Löcher im Boden verschwinden – scheue, knuddelige Tiere.
Hier ist das Wandern einfach: Leicht bergauf, zwischen Wiesen und Wäldern, neben Herden von Kühen und Pferden. Vorbei an den typischen runden Nomaden-Behausungen, den Yurt-Hütten. Ein Viehpfad über einen grünen Hügel führt hinauf zu einem weiteren Pass, bevor Felsbrocken den Untergrund dominieren. Kurz vor dem Übergang dann eine fußballfeldgroße Ebene: Praktisch, ein Notfallzeltplatz für diejenigen, die sich übernommen haben oder den Ausblick bei Sonnenaufgang genießen wollen. Steinpyramiden markieren den letzten Abschnitt, bevor mir auf knapp 3.900 Metern der Wind um die Ohren pfeift.

Zügig bergab, bis ich eine riesige Grasfläche erreiche. Ein Zelt ist hier bereits errichtet. Der Besitzer begrüßt mich mit vier magischen Worten: „Möchtest Du etwas Pasta?“. Dankbar setze ich mich zu dem Israeli Noam und seiner frisch vermählten Frau Kolby, die mir Tee und Nudeln anbieten. Die beiden wandern gerade durch ihre Flitterwochen – weshalb ich sie nicht weiter störe.
Der nächste Tag begrüßt mich mit Sonnenschein und weiterem Bergab. Voller Motivation verlasse ich die Terskej-Alatau Traverse und nehme eine alternative Route. So werde ich oberhalb des bekannten Alakjol-Sees herauskommen. Erneut stellt sich mir ein reißender Fluss in den Weg. Diesmal ohne Seilbahn, dafür mit einem dicken, querliegenden Baumstamm – dieser eignet sich bestimmt gut als Brücke…

Markierungen zum Pass
Markierungen zum Pass
Talblick
Talblick
Die "Brücke"
Die „Brücke“

Hindernislauf in freier Natur

Mit meinem Wanderstab quer in beiden Händen balanciere ich mit wackeligen Beinen auf dem Stamm. Ich senke meinen Kopf: Schäumende Wassermassen keine 30 Zentimeter unter mir. Ich schaue nach vorne. Langsam, vorsichtig, Schritt für Schritt arbeite ich mich vorwärts. Unbeschadet erreiche ich das Ufer und atme erleichtert durch.
Bergauf, durch kniehohe Wiese, Disteln, Dornen, während mich Schafe mit irritierten Blicken prüfen. Zwei Einheimische, Nomaden mit mongolischen Gesichtszügen, kreuzen meinen Weg und nicken mir freundlich zu. Innehalten, tief durchatmen, frischen Duft von Zitronenmelisse genießen – und weiter bergauf.

Den Pass erkenne ich in der Ferne, eine Grasebene und ein steiniger Aufstieg trennen mich davon. Die Ebene ist schnell überquert, der Aufstieg über die unendlich scheinende Steinwüste nimmt mehr Kraft in Anspruch. Ich suche einen Weg nach unten. Jedoch: Nichts weiter als ein steiles Schneefeld. So mache ich den ersten Schritt, kalt, knöcheltief. Schlitternd, rutschend, nach unten, vorsichtig. Noch ein Abschnitt aus Steinen, und der Gebirgssee Ala-Kul liegt vor mir. Gegenüber erkenne ich die Terskej-Alatau Traverse, die über einen grauen Pass in das nächste Tal führt.
Das Zelt baue ich auf der Ostseite eines Felsens auf, um von der Sonne geweckt zu werden. Auf dem Hügel finde ich einen Aussichtspunkt. Bei Reis und Käse lass ich meinen Blick über den See wandern. Die Sonne wärmt mir den Rücken, die Wolken nehmen gemächlich einen tiefen Lila-Ton an. Kein Wind weht. Still und friedlich.

Erste Blicke auf den Ala Kul
Erste Blicke auf den Ala Kul
Wohnen mit See-Blick
Wohnen mit See-Blick
Abendstimmung
Abendstimmung

Ein entspannender Abschluss im warmen Wasser

Einen letzten Pass gilt es zu überwinden, dieser ist in der Ferne bereits sichtbar. Die grelle Sonne macht den Aufstieg schwierig: Der Schnee reflektiert die Strahlen, ich muss meine Augen zusammenkneifen, damit die Sonne mich nicht blendet. Schritt für Schritt stiefle ich durch das Weiß, folge tagealten, vereisten Fußspuren. Ich werfe einen Blick zurück: Wenige Meter vor mir liegt ein gefrorener Eissee mitten im Schneefeld. Dahinter der größere Ala-Kul mit grünem Ufer, umrandet von grauen Bergriesen.
Ein letzter Energieschub, und ich blicke hinab in das Pakirtor Tal. Steine werden zu Wiesen, während ich einem deutlichen Pfad folge. Ein Wasserfall lässt mich innehalten. Ich betrachte wie enorme Wassermassen nach unten schmettern.

Kurz darauf verliere ich den Pfad, finde ihn zwischen Fichten und Wacholdergestrüpp wieder. Drei Holzstämme dienen als Brücke über einen Fluss und bringen mich zurück auf die Terskej-Alatau Traverse. Ein letzter Marsch durch ein knöcheltiefes Sumpfstück, und ich erreiche Altynarashan, berühmt durch seine heißen Quellen: 20 Einwohner, vier Familien, vier Gasthäuser; jedes mit eigener heißer Quelle. Das warme Wasser lässt die anstrengenden letzten Tage vergessen. ich fühle, wie jeder Muskel sich entspannt. Beim Abendessen treffe ich Jaques und Claire, ein französisches Pärchen, das mit Ziehharmonika und Ukulele die Welt erkundet.
Am nächsten Tag führt mich eine Schotterpiste die letzten 20 Kilometer zurück nach Karakol. Touristen mit unglücklichen Gesichtern passieren mich, eingesperrt in Allrad-Bussen, durchgeschüttelt und durchgerüttelt. Wie froh ich bin, zu Fuß unterwegs zu sein…

Spiegel der Natur
Spiegel der Natur
Der letzte Pass
Der letzte Pass
Wassermassen
Wassermassen

 

Zusammenfassung:

Ausgerüstet mit Karte und Kompass kann man entweder dem vorgegebenen Pfad folgen oder die unbekannteren Ecken erkunden. Ein unvergessliches Erlebnis bietet ein Trip mit Sicht auf den Pik Karakol, 5.216 Meter. Der Einladung einer Nomadenfamilie zum Essen oder zu einem Schluck Kumys (vergorene Stutenmilch) sollte man Folge leisten. Die herzliche Freundlichkeit der Menschen hier wirkt noch lange nach. Für solche Fälle sollte ein Gastgeschenk, wie Tee oder Süßigkeiten, im Gepäck sein.

Eis-See vor dem Ala-Kul
Eis-See vor dem Ala-Kul
Tal-Spaziergang
Tal-Spaziergang
Ausblick vom Pass
Ausblick vom Pass